Ukraine – welchen Staat unterstützt Deutschland eigentlich?

Korrespondenz zur Veranstaltung mit Werner Rügemer:

Unter dieser Fragestellung hatte das Berliner Bündnis „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“ zu seiner fünften Veransatltung nach dem Krieg in der Ukraine eingeladen. Etwa 100 Besucher*innen füllten den Raum der MedienGalerie von ver.di; einige mussten unverrichteter Dinge umkehren, da es keinen freien Platz mehr gab.

Werner Rügemer eröffnete seinen Beitrag mit einem kurzen Hinweis auf die gewonnene Klage gegen die „Berliner Zeitung“. Er war von der Redaktion der Zeitung gebeten worden, einen Artikel zur Rüstungsfirma „Rheinmetall“ zu schreiben. Den Artikel lieferte er ab, mit weniger Zeichen als eingefordert, mit dem Hinweis, dass redaktionelle Kürzungen nur nach Rücksprache mit ihm gestattet seien. Bei der Veröffentlichung fehlten in Rügemer Beitrag zwei Passagen. Sie betrafen die Nähe von (Verteidigungs-) Kriegsminister Pistorios zu „Rheinmetall“ und die Funktionen der FDP-Abgeordneten Strack-Zimmermann in der Rüstungslobby. In erster Instanz gewann Werner Rügemer; die „Berliner Zeitung“ geht nun in die Instanz, in der am 10. August entschieden werden soll.

In einem ohne Manuskript gehaltenen Vortrag erläuterte Werner Rügemer seine Kenntnisse über den Zustand der Ukraine. Er orientierte und deckte sich mit einem Artikel, den er zuvor veröffentlicht hatte und den wir hier wiedergeben.

Ukraine: Extremes Muster neoliberaler Neuordnung

Die Ukraine wurde nach der Unabhängigkeit 1990 schrittweise nach neoliberalem Muster umgestaltet. Die besonders extreme Weise dieser Umgestaltung ist begründet in der geostrategischen Bedeutung des Landes für die USA.1


Schlüsselstaat für die Eroberung Russlands

1997 erklärte der Berater mehrerer US-Präsidenten Zbigniew Brzezinski: Europa ist der „geopolitische Brückenkopf Amerikas in Eurasien“. Dabei ist Deutschland der „Musterknabe und stärkste Anhänger Amerikas“ – aber die Ukraine ist der Schlüsselstaat für die Eroberung ganz Eurasiens, und zwar „von Lissabon bis Wladiwostok“. Seit 1994 habe deshalb der Ausbau der Beziehung zwischen der Ukraine und den USA „höchste Priorität“.2

Damit sollte die Stellung der USA als „einzige Weltmacht“ endgültig abgesichert werden, durch Zugriff nicht nur wie bisher auf Europa, sondern auch auf Russland. Diese konflikt- und kriegstreibende Strategie wurde vom deutschen Musterknaben in Gestalt des „liberalen“ Außenministers Hans-Dietrich Genscher im Vorwort des Brzezinski-Manifests begeistert gelobt.

So wurde die Ukraine nach US-Muster, das sich seit dem 19. Jahrhundert zunächst in den lateinamerikanischen und asiatischen „Hinterhöfen“ bewährt hatte, umgestaltet: Zuerst kamen die Kapitalisten, dann die Militärs, und dann noch mehr Kapitalisten.3

Europas Schmuggelzentrale für Zigaretten

So kauften seit 1992 die größten Zigarettenkonzerne Philip Morris, R.J. Reynolds, Britisch American Tobacco und Japan Tobacco die Zigarettenfabriken in der Ukraine.

Die Produktion galt und gilt zum wenigsten dem ukrainischen Markt, sondern dem Export. Dafür senkte die Regierung die Tabaksteuer auf ein international konkurrenzloses niedriges Niveau, weniger als die Hälfte der in Europa sonst geltenden Steuer. Gleichzeitig gab es praktisch keine Zollkontrollen, denn je mehr auch für den Schmuggel produziert wurde – desto besser für „die Wirtschaft“.

Ende der 1990er Jahre erkannte die Europäische Kommission: Philip Morris & Co produzieren in der Ukraine mehr als 90 Prozent für den Export, mit den Billigzigaretten für den Schmuggel in arme Staaten, mit den Luxusmarken in die reichen EU-Staaten. Durch den Schmuggel würden die EU-Staaten jährlich um 4 Mrd. Euro geschädigt. Die EU klagte gegen Philip Morris und Reynolds auf Schadenersatz. Das Gericht in New York wies die Klage 2001 ab. Drei Jahre später willigte Philip Morris ein, an die EU 1,3 Mrd. Dollar zu zahlen.

Morris zahlte aber nicht, 2010 wurde das Abkommen erneuert. Morris verpflichtete sich, die Summe auf 12 Jahre verteilt an Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien zu bezahlen. Diese Staaten haben das Abkommen unterzeichnet – aber alle osteuropäischen EU-Staaten nicht.4

„Die Ukraine ist zu einer weltweiten Drehscheibe für die Lieferung illegaler Zigaretten nach Europa geworden“, gestand der Vizechef des ukrainischen Präsidentenamtes, Alexej Hontscharuk. Aber die EU fördert das. 2022 beim 21. Gipfeltreffen EU-Ukraine hat Präsident Zelensky wieder freundlich zugesagt, dass die Ukraine den Tabakschmuggel bekämpfen wird, noch viel heftiger als bisher.5

Agrobusiness: US-Konzerne und einheimische Oligarchen

Nach dem Ende des Sozialismus bekamen die 7 Millionen Bauern aus ihren Kollektivfarmen im Durchschnitt vier Hektar Land als Eigentum zugeteilt. Das war und ist zu wenig, um eine eigenständige Landwirtschaft zu betreiben. Der Staat hätte dem durch Förderprogramme abhelfen können – das tat er aber nicht. Er förderte dagegen die Verpachtung des Bodens an Oligarchen. Deshalb verpachten die Bauern ihre Parzellen an oligarchische Großpächter, für eine niedrige Pachtgebühr, zwischen 60 und 150 Dollar jährlich pro Hektar, 2008 war es noch die Hälfte.

So hat Oligarch Andry Werewsky mit dem Konzern Kernel 570.000 Hektar Pachtland zusammengerafft, Oligarch Oleg Bachmatjuk schaffte es mit UkrLandFarming auf 500.000 Hektar, der US-“Heuschrecken“-Investor NCH Capital aus New York hat 400.000 Hektar, der Oligarch Juriy Kosuk/MHP 370.000 Hektar. Rinat Achmetov, der reichste Ukrainer, kam mit seiner Agro-Holding auf 220.000 Hektar, während die Continental Farmers Group aus Saudi-Arabien „nur“ 195.000 Hektar pachtet. Schwedische und niederländische Pensionsfonds sind als Aktionäre beteiligt.

Aus Bayern kommen Klein-Oligarchen wie Dietrich Treis und Hans Wenzel, die zuhause 60 Hektar haben, in der Ukraine aber unvergleichlich günstig gepachtete 4.500 Hektar bewirtschaften. 6 Alexander Wolters aus Sachsen hat 4.200 Hektar gepachtet, für 60 Euro pro Hektar im Jahr.7

Diese Agro-Unternehmen sind in den westlichen Weltmarkt integriert:

*Die rechtlichen und Steuersitze sind vorzugsweise in den EU-üblichen Finanzoasen Zypern, Luxemburg und der Schweiz.

*Sie erhalten Kredite der beiden EU-Banken EBRD und EIB.

*Die Samen-, Düngemittel-, Pestizid- und Landtechnik und der weltweite Handel sind in den Händen von US- Konzernen wie John Deere (Landmaschinen), Corteva (Samen), Cargill (Düngemittel, Betrieb von Getreidespeichern), Glecore und Archer Daniels (Handel) sowie von Bayer/Monsanto (Samen, Saatgutfabriken).

Hochbezahlte Manager führen die Geschäfte. Einige wenige Bauern können Hilfsdienste in diesem großflächig organisierten Agrobusiness ausführen. Ein bisschen nicht-verpachtetes Land ermöglicht ihnen kümmerliches Überleben.8

Zuliefer-Standort mit extremer Niedriglöhnerei

Bei der ersten Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Ukraine, im Jahre 2015, betrug er 0,34 Euro, also 34 Cent pro Stunde. Danach wurde er erhöht: 2017 betrug er 68 Cent, 2019 betrug er 78 Cent, und seit 2021 beträgt er 1,21 Euro. Das ist konkurrenzlos niedrig in Europa: Auch in den benachbarten Niedriglohnstaaten, die EU-Mitglied sind wie Polen, Rumänien und im Baltikum liegen die Mindestlöhne zwischen 3 und 4 Euro, also dreimal höher.9

Selbst der gesetzliche Niedrigstlohn wird nicht immer bezahlt

Das bedeutet nicht, dass dieser Mindestlohn bezahlt wird. Zum Beispiel – so einer der wenigen Berichte, bezogen auf das Jahr 2017 – kommt der Mindestlohn in der Textil- und Lederindustrie bei einem Drittel der Beschäftigten nur durch erzwungene und unbezahlte Überstunden zustande. Auch Bezahlung nach Stücklohn ist verbreitet – die bestimmte Zahl an Hemden muss in einer Stunde fertiggenäht sein; wenn das nicht klappt, muss unbezahlt nachgearbeitet werden. Viele Beschäftigte haben gar keinen Arbeitsvertrag.

Wenn keine Aufträge vorliegen, wird unbezahlter Urlaub angeordnet. Der gesetzlich zustehende Jahresurlaub wurde vielfach nicht gewährt bzw. nicht bezahlt. Die Unternehmensleitung verhinderte die Wahl von Belegschaftsvertretungen.

Die Hungerlohn-Kette aus der Ukraine in die EU-Nachbarstaaten

Es gibt etwa 2.800 offiziell registrierte Textilunternehmen, aber auch viele nicht registrierte. Sie bilden eine Schattenwirtschaft, oft in Kleinstädten und Dörfern.

Dabei rangieren die meisten dieser Unternehmen nur als Zweitklasse-Zulieferer für die international vernetzten Billigproduzenten in den benachbarten EU-Staaten. So gehen 41 Prozent der Schuhe als Hungerlohn-Halbfertigware aus der Ukraine erstmal in die Niedriglohnfabriken Rumäniens, Ungarns und Italiens: Dort kriegen sie dann das Etikett „Made in EU“.

Einheimische können sich nur second hand-Importe leisten

Die Mehrheit der etwa 220.000 Textilbeschäftigten sind ältere Frauen. Sie halten sich durch Subsistenzwirtschaft über Wasser, etwa durch einen eigenen Garten mit Hühnerstall.

Die teuren, in der Ukraine vorproduzierten Exporte landen im Westen bei Hugo Boss, Adidas, Marks&Spencer, New Balance, Esprit, Zara, Zalando, Mexx, C&A, Peek&Cloppenburg, Triumph – während die Mehrzahl der Importe billigste second hand-Textilien sind: Sie werden in den reichen Staaten als kostenlose Gaben eingesammelt. Ein Hemd in der Ukraine kostet dann 50 Cent. Die Textilarbeiterinnen und viele Menschen vor allem auf dem Lande können sich nur solche fast kostenlosen Wegwerf-Textilien aus den reichen Staaten leisten.

Zulieferer für Auto, Pharma, Maschinenbau

Ähnlich wie in der Textil- und Lederindustrie läuft es auch in anderen Branchen. Tausende Unternehmen vor allem aus den USA und EU-Staaten – allein aus Deutschland etwa 2.000 – vergeben Zuliefer-Aufträge für eher einfachere Teile: Porsche, VW, BMW, Schaeffler, Bosch und Leoni etwa für Autokabel; Pharma-Konzerne wie Bayer, BASF, Henkel, Ratiopharm und Wella lassen ihre Produkte abfüllen und verpacken; Arcelor Mittal, Siemens, Demag, Vaillant, Viessmann unterhalten Montage- und Verkaufsfilialen. Hier werden durchaus Löhne von zwei bis drei Euro gezahlt.

Null-Stunden-Verträge, Enteignung der Gewerkschaften

Die Selensky-Regierung erhöhte zwar den Mindestlohn auf 1,21 Euro, zerstört aber die sowieso stark geschwächten Gewerkschaften. Das Arbeitsgesetz vom Dezember 2019 ist der bisherige Höhepunkt des extremen ArbeitsUnrechts:

*Der Null-Stunden-Arbeitsvertrag ist zulässig: Arbeit auf Abruf. Da kann die Zahl der Arbeitsstunden und das Arbeitseinkommen auch mal Null betragen.

*Entlassungen müssen nicht mehr begründet werden.

*Die individuelle Aushandlung der Arbeitsverträge wird gefördert. In Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten – das sind über 95 Prozent der Unternehmen – können Tarifverhandlungen ausgesetzt werden.

Außerdem sollen die Gewerkschaften enteignet werden. Sie haben aus sowjetischer Zeit noch Grundstücke und teilweise große Häuser in den Zentren der Städte. Für Selensky sind das „russische Überreste“ – also enteignen!

EU überhört Proteste

Hunderttausende Ukrainer protestierten gegen das neue Gesetz – darüber berichtete keine westliche Tagesschau.

Am 9. September 2021 haben internationale und europäische Gewerkschaften – ITUC, CSI, IGB – die ukrainische Regierung und die EU darauf hingewiesen: Die Ukraine verletzt mit dem neuen Arbeitsgesetz nicht nur die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, sondern auch die niedrigen Standards der EU – keine Reaktion.10

Millionenfache Arbeits-Migration

Seit Beginn der 2000er Jahre und beschleunigt durch die Rezession nach dem Maidan-Putsch sind etwa 5 Millionen UkrainerInnen als Arbeitsmigranten unterwegs – zwei Millionen mehr oder weniger dauerhaft im Ausland, etwa drei Millionen pendeln in die Nachbarstaaten Rumänien, Slovakei, Tschechien, teils wochenweise oder für einige Monate. Etwa zwei Millionen UkrainerInnen verdingen sich in Polen vor allem in niedrigen Diensten als Putzkräfte, Haushaltshilfen, Kellner, Altenbetreuer, LkW-Fahrer.11

In Polen blüht auch das Geschäft von Vermittlungsagenturen: Die erklären Ukrainer zu polnischen Staatsangehörigen und vermitteln sie etwa als häusliche Pflegekräfte nach Deutschland und in die Schweiz: Da wird dann schon mal der dortige Mindestlohn bezahlt, für eine 40 Stunden-Woche, aber in Wirklichkeit müssen die Pflegekräfte 24 Stunden in Bereitschaft sein, so steht es im Arbeitsvertrag.

Studierende aus der Ukraine sind gern geholte Saisonkräfte in der EU-Landwirtschaft. Allein im deutschen Bundesland Niedersachsen sind es jährlich etwa 7.000 Studierende, die freilich nicht unbedingt studieren, sondern mit gefälschten Immatrikulationspapieren einreisen. Weder in der Ukraine noch in Deutschland wird das kontrolliert.12

Ukrainische LkW-Fahrer in Litauen

2015 betrug der Mindestlohn pro Stunde in Litauen 1,82 Euro: Das war fünfmal höher als die 34 Cent in der Ukraine. 2020 betrug der Mindestlohn in Litauen 3,72 Euro, also viermal höher als die 88 Cent in der Ukraine.

Die EU fördert den Ausbau Litauens zur europäischen Speditions-Zentrale: Mithilfe Künstlicher Intelligenz werden billige und willige LkW-Fahrer aus Drittstaaten wie Ukraine, Moldau und von den Philippinen quer durch Europa gelenkt. Sie brauchen keine Sprache zu lernen, sie bekommen ihre Anweisungen über Smartphone und Navigator.13

So fehlten mit Beginn des Krieges in der Ukraine den litauischen und polnischen Speditionen plötzlich über 100.000 LkW-Fahrer – aus der Ukraine, sie durften wegen des Militärdienstes nicht mehr ausreisen.14

Ukraine unterbietet asiatische Niedriglöhnerei

So wurde die Ukraine zur größten „Lieferantin billiger Arbeitskräfte in die EU-Länder.15“ Die EU fördert das zweifach: Erstens durch das Freihandelsabkommen mit der Ukraine von 2017. Zweitens gerade dadurch, dass die Ukraine kein EU-Mitglied ist: Deshalb muss die EU die etwas besseren, aber ebenfalls kapitalfreundlichen EU-Arbeitsrichtlinien gar nicht anmahnen, und der manchmal arbeitnehmerfreundliche Europäische Gerichtshof EUGH kann nicht angerufen werden.

So kann der Standort Ukraine asiatische Staaten wie Bangladesh, Indien und Vietnam unterbieten, ist aber zugleich viel näher an den Abnehmern in der EU.

Hot spot der kommerziellen Leihmutterschaft

Die Ukraine ist der globale hot spot für industrielle Leihmutterschaft. Die FrauenArmut bietet ein unerschöpfliches Reservoir – eine andere Form der Niedriglöhnerei.

Vittoria Vita, La Vita Nova, Delivering Dreams oder etwas prosaischer BioTex – solche Agenturen für Leihmutterschaft preisen in Kiew und Charkiw ihre Dienste bzw. ihre Frauen an. In Katalogen werden, für zahlungskräftige Ausländer, hübsche Ukrainerinnen angeboten. Vor allem aus den USA, Kanada, Westeuropa, China kommen die Wunschkind-Touristen.16

Das gutbetuchte Wunscheltern-Paar liefert in einer der Dutzend Spezialkliniken Ei und Samen ab. Die werden in der Retorte befruchtet. Dann wird das genetisch fremde Embryo der Leihmutter eingepflanzt. Das wurde in den USA entwickelt, ist aber dort viel teurer: Zwischen 110.000 und 240.000 Dollar. In der Ukraine ist das Verfahren weniger reguliert, auch deshalb viel billiger: Zwischen 39.900 und 64.900 Euro für ein gesund abgeliefertes Baby.

Die Preise unterscheiden sich, ob die Wunscheltern für ihr bestelltes Baby ein bestimmtes Geschlecht haben wollen oder nicht: Ohne Geschlechtswahl kostet es bei BioTex 39.900 Euro, mit zweimaligem Versuch auf das gewünschte Geschlecht 49.900 Euro, und bei unbegrenzten Versuchen 64.900 Euro. Zu den Angeboten gehört die Hotel-Unterbringung, die Ausstellung der Geburtsurkunde und des Reisepasses im zuständigen Konsulat. Bis 2020 wurden mehr als 10.000 solcher Babys ausgeliefert.

Die Leihmutter bekommt während der Schwangerschaft eine monatliche Prämie zwischen 300 und 400 Euro, nach Ablieferung des Produkts wird die Erfolgsprämie auf 15.000 Euro aufgestockt. Bei Fehlgeburt, wenn das Kind behindert ist oder dessen Annahme verweigert wird, bekommen die Leihmütter nichts.

Finanziers und Förderer: USA, IWF, EU, US-Investoren

Die Open Society Foundation des US-Spekulanten George Soros hatte mit Unterstützung des US-State Department 2004 die erste „bunte Revolution“ unterstützt und die Ölmagnatin Julia Timoschenko als Regierungschefin installiert. Sie verlor schnell an Wähler-Zustimmung.

2014 organisierten westliche Akteure – wieder die Soros-Stiftung, die PR-Abteilung der NATO, National Endowment for Democracy (NED, US-Behörde zur Förderung von NGO) – den Maidan-Putsch. Der Banker Arsenij Jazeniuk wurde als Regierungschef installiert.17

Der Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland führte zum Verlust mehrerer hunderttausend Arbeitsplätze. Der US-dominierte IWF gewährte sofort Milliardenkredite.

Dabei mahnte IWF-Chefin Christine Lagarde zwar an, dass die Kredite gestoppt werden, wenn die Ukraine nicht endlich die Korruption bekämpft.18 Doch begleitet von dieser rituell-folgenlosen Kritik vergab der IWF dem „korruptesten Staat Europas“ (Transparency International) immer weiter Kredite, verbunden mit Auflagen für Sozial- und Rentenkürzungen, für Erhöhung der Kommunalgebühren (Wasser, Abwasser, Müll) und der staatlichen Energiepreise sowie für weitere Privatisierungen. Der IWF war auch Kriegstreiber: Der Verlust des Donbass würde sich negativ auf die Höhe der westlichen Kredite auswirken.19

Einen 5 Milliarden-Kredit verband der IWF mit der Auflage: Agrarland darf verkauft werden, denn das führt zu wirtschaftlichem Aufschwung! Viele Bauern protestierten gegen diese „Landreform“ – ungehört.

Auch die EU unterstützt die Ukraine finanziell, etwa durch Subventionen bei Unternehmensgründungen. Große US-Investoren wie BlackRock vergeben direkte Kredite oder bringen ukrainische Staatsanleihen auf den Markt.

Unter Präsident Barack Obama kam die Ukraine direkter als vorher unter US-Zugriff, militärisch, geheimdienstlich, wirtschaftlich. Vizepräsident Joe Biden war zuständig für die Ukraine. Bei seinen häufigen Besuchen in Kiew kam an Bord des Regierungsfliegers Air Force One auch Sohn Hunter Biden mit. Im größten Energiekonzern Burisma, der dem Oligarchen Mykola Zlochevsky gehörte, bekam Hunter Biden einen Sitz im Aufsichtsrat und 600.000 Dollar jährlich.20

Systemisch: Ausverkauf über Finanzoasen, Oligarchen-Herrschaft

Nicht nur die Agrar-Oligarchen nutzen westliche Finanzoasen wie Luxemburg, Schweiz, Zypern, Monaco. Auch für die größeren Unternehmen, private wie staatliche, für Medienunternehmer und politisch Aktive wie den jetzigen Präsidenten Zelensky ist das üblich: Mit seinen Geschäftspartnern unterhielt er Briefkastenfirmen in Belize, Zypern und auf den Jungferninseln.

Politisch abgesichert werden solche Praktiken durch vom Westen geförderte, rechtsradikale, nationalistische, hasserfüllt antirussische Regierungen. „Nationalistisch“ – das verbietet eigentlich den Ausverkauf des eigenen Landes. Aber das war und ist eine westlich geförderte Praxis, auch bei der „Osterweiterung“ von NATO und EU.21

Dieser neoliberale Ausverkauf hat auch den Effekt, dass die jeweils an die Spitze beförderten Oligarchen schon nach kurzer Zeit ihre hochgepuschte Zustimmung in der Bevölkerung verlieren und schnell durch neue Oligarchen ersetzt werden, die zu immer mehr demagogischen Tricks greifen22- wie zuletzt Zelensky.

Die ärmste und kränkeste Bevölkerung Europas

So wurde die Bevölkerungsmehrheit noch ärmer, außerhalb der Hauptstadt Kiew. Die Lebenshaltungskosten, Nahrungsmittel, Kommunalabgaben, Mieten, Gesundheits- und Energiekosten sind gestiegen. Die Durchschnittsrente betrug 2013, vor dem Maidan-Putsch, noch 140 Euro, das war der Höhepunkt in der Geschichte der unabhängigen Ukraine. Seit 2017 beträgt die Durchschnittsrente 55 Euro. Immer mehr RenterInnen müssen weiterarbeiten.23

Seit der Unabhängigkeit schrumpfte deshalb die Bevölkerung von 51 Millionen auf 41 Millionen Einwohner. Schon vor dem jetzigen Krieg prognostizierte die Internationale Organisation für Migration (IOM) zum Jahr 2050 eine Schrumpfung: auf 32 Millionen Einwohner.

Die ärmste Bevölkerung Europas ist auch die kränkeste: Die Ukraine steht in Europa an erster Stelle der Todesfälle wegen Mangelernährung.24

Größte Armee in Europa

Der NATO-Gipfel 2008 erklärte: Die Ukraine soll Mitglied werden. Nach dem Maidan-Putsch kamen britische und US-Militärberater. Sie bildeten Offiziere aus und halfen bei der Anwerbung ausländischer Söldner. Die USA lieferten Rüstungsgüter. Die NATO führte gemeinsame Manöver mit der ukrainischen Armee durch. Die angestrebte NATO-Mitgliedschaft wurde in die Verfassung aufgenommen.25

Der ärmste Staat Europas rüstete so ab 2016 noch schneller auf als andere: Von 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Militär innerhalb eines halben Jahrzehnts bis 2020 auf das Doppelte, 5,9 Prozent – also schon vor dem Krieg: höchstprozentiger Musterknabe für die Forderung von US-Präsident Obama an die NATO-Mitglieder, die Militärbudgets auf 2 Prozent zu erhöhen. Damit steht die Ukraine – nach Saudi-Arabien weltweit an 2. Stelle, noch vor dem zweitbesten US-Musterknaben, dem hochgerüsteten Besatzungsstaat Israel.26

So hat das Nicht-NATO-Mitglied Ukraine mit seinen 292.000 Soldaten mehr als die anderen und auch bevölkerungsreicheren NATO-Mitglieder in Europa, also mehr Soldaten als Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und geleitet aus den USA und Großbritannien … Sollte nach dem Dauerbeschuss des Donbass ein noch größerer Krieg vorbereitet werden, oder wofür?

Ausverkauf für den „Wiederaufbau“

Am 6. September 2022 durfte Zelensky mit Glockengeläut die New Yorker Börse eröffnen. Er warb für den Fond Advantage Ukraine: Mit ihm können sich internationale Investoren „am Wiederaufbau und an der Verjüngung der Marktwirtschaft in der Ukraine beteiligen, indem den Anlegern faire und gerechte Renditen geboten werden.“26

Börseneröffnung und Fond waren von BlackRock arrangiert worden. Der größte Kapitalorganisator der westlichen Welt, mit drei Managern in der US-Regierung präsent, wurde im September 2022 auch offiziell der Hauptberater der ukrainischen Regierung. BlackRock kennt sich im Land gut aus: Er ist z.B. führender Aktionär beim größten Zigarettenhersteller Philip Morris und bei John Deere, Monsanto/Bayer, Cargill, Glencore, die das ukrainische Agro-Business managen. Die New York Times bestätigte: Die Beratung durch BlackRock basiert auf der langjährigen Zusammenarbeit „mit Finanzinstituten, Aufsichtsbehörden und Regierungen.“27

Und BlackRock verdient für seine superreichen, anonymisierten Kapitalgeber am Ukraine-Konflikt zusätzlich: Als führender Aktionär in den Top Ten der US-Rüstungskonzerne, im deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall, in der US-Fracking-Industrie.

So kann der „Wiederaufbau“ eines neoliberal zugerichteten und lukrativ ausgepowerten Landes dann lukrativ beginnen, nach einem möglichst langen lukrativen Stellvertreter-Krieg.

  1. Die Darstellung ist auf die Situation vor dem 2022 begonnenen Krieg begrenzt.[]
  2. Zbigniew Brzezinski: Die einzige Supermacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Vorwort von Hans-Dietrich Genscher, Weinheim/Berlin 1997[]
  3. Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft. Die Eroberung Europas durch die USA. Vom 1. zum 2. Weltkrieg, Köln 2023[]
  4. Geschichte der EU-Vereinbarungen zum Tabakschmuggel: Unfairtobacco.org[]
  5. Schmuggel: Ukraine will Kooperation mit der EU verbessern, https://www.euraktiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/schmuggel-ukraine-will-kooperation-mit-der-eu-verbessern/[]
  6. Ukraine-Krieg: Niederbayerischer Landwirt bangt um seine Mitarbeiter, Bayerischer Rundfunk 4.3.2022; ARD Tagesschau 17.5.2022[]
  7. Deutsche Landwirte in der Ukraine ächzen über Preisschwankungen und Transportprobleme, mdr.de 21.5.2022[]
  8. Who Benefits from the Creation of a Land Market in Ukraine? https://www.oaklandinstitute.org, December 2020; Christina Planks: Land grabs in the Black Earth: Ukrainian Oligarchs and International Investors, Heinrich Böll-Stiftung 30.10.2013; Transnational Institute: Land Concentration, Land Grabbing and Peoples‘ Struggles in Europe, June 2013[]
  9. Oksana Dutschak: Sweatshops am Rande Europas. Wie Markenkleidung in der Ukraine genäht wird, Bundeszentrale für politische Bildung 4.12.2017; siehe auch: Clean Clothes Campaign: Länderprofil Ukraine 2017, herausgegeben von der Rosa Luxemburg-Stiftung.[]
  10. Sharan Burrow/ITUC and Luca Visentini/ETUC: Letter to Mr. Volodymyr Zelenskyy and others, Brussels 9 September 2021, pmginfo.dp.ua/images/photo-news/09_2021/original_lista.pdf[]
  11. Die nützlichen Migranten. Zwei Millionen Ukrainer in Polen, Deutschlandfunk 27.2.2018[]
  12. Ukrainische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, https://www.fes.de/themenportal, 6.4.2022[]
  13. Werner Rügemer: Imperium EU – ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr, Köln 2020, S. 279ff.[]
  14. Lastwagenfahrer fallen aus. Viele Ukrainer eingezogen, FAZ 9.3.2022[]
  15. Olga Gulina/Oleksii Pozniak: Ukraine – Migrationsströme im Wandel, https://zois-berlin.de/publikationen/ukraine-migrationsstroeme-im-wandel 11.4.2018[]
  16. Geschäft mit dem Babyglück – Leihmütter in der Ukraine, arte-TV 29.1.2021; Babys für die Welt. Das Geschäft mit ukrainischen Leihmüttern, DLF/SWR/ORF 30.11.2021; In der Ukraine boomte das Geschäft mit der Leihmutterschaft. Dann kam der Krieg, Stern 25.3.2022[]
  17. Werner Rügemer: Jazeniuk made in USA, Ossietzky 9/2014[]
  18. IMF threatens to cut Ukraine aid over corruption, https://euractiv.com 10.2.2016[]
  19. www.enbc.com/2014/05/01/ukraine-gets-17bn-bailout-russian-risksremain.html[]
  20. The tangled tale of Biden’s son, New York Times 18.1.2022[]
  21. Rügemer: Imperium EU, S. 68ff.[]
  22. Poroshenkos Südenregister. Warum das Staatsoberhaupt nach 5 Jahren Amtszeit auch bei seinen Anhängern in Ungnade gefallen ist, Süddeutsche Zeitung 19.4.2019[]
  23. Ukraine-analysen Nr. 200, 27.4.2018, www.laender-analysen.de/ukraine[]
  24. Cardioviscular mortality attribuable to dietary risk factors in 51 countries in the WHO European Region from 1990 to 2016, European Journal of Epidemiology 34, 37ff. (2019[]
  25. Helmut Scheben: Ukraine – Chronik der westlichen Einmischung, infosperber.ch 23.12.2022[]
  26. Militärausgaben der Ukraine von 2006 bis 2021, de.statista.com, abgerufen 15.7.2022[][]
  27. https://www.nytimes.com/2022/09/19/business-zelensky-blackrock-reconstruction-fund.html[]